Auf der Heimreise aus dem äußersten Südwesten Frankreichs machen wir für einige Tage Station in der Ardèche. Das Departement liegt im Südosten des Landes in der Region Auvergne-Rhône-Alpes und gehört zum Zentralmassiv. Der Zufall führt uns in den Norden des Departements. Hier erreicht die Gebirgslandschaft Höhen von bis zu 1700 Metern. Im Winter ist es kühl und windig, im Sommer heiß. Die Menschen leben hier hauptsächlich von der Landwirtschaft und zunehmend vom Tourismus. Franzosen, die in der Ardèche ihren Urlaub verbringen, lieben die Natur und suchen Ruhe. Dies vorausgeschickt kommen nun meine Tipps für den nördlichen Teil des Departements Ardèche.
Inhalt
#1: Boucieu-le-Roi – die Wurzeln der Ardèche
Nirgendwo ist man den Wurzeln dieses Landstrichs näher als im kleinen Ort Boucieu-le-Roi. Als bekennender Liebhaber malerischer Altstädte hat mich Boucieu-le-Roi mit seinen alten Steinhäusern und stillen Winkeln regelrecht verzückt.
Die geschichtliche Bedeutung des 250-Seelen-Dorfes habe ich erst nach einiger Recherche verstanden. Das 1790 gegründete Departement Ardèche ist fast deckungsgleich mit der historischen Grafschaft Vivarais. Boucieu-le-Roi war von 1291 bis 1565 die Hauptstadt des Gebiets Haut Vivarais. Der französische König Philippe der Schöne richtete zu Beginn dieser Periode in Boucieu einen königlichen Gerichtshof ein, der für den gesamten Bereich Haut Vivarais zuständig war.
Maison du Bailli
Es heißt, man könne dem traditionellen Vivarais in Boucieu noch heute nachspüren. Der Sitz des königlichen Gerichtshofes, das Maison du Bailli, ist erhalten geblieben und fällt beim Bummel durch die Gassen auf jeden Fall ins Auge. Das charakteristische Granithaus mit den hellgrauen Fensterläden ist der wichtigste Zeuge der Blütezeit Boucieus.
Wallfahrtskirche St. Johannes
Später prägte der Missionar Pierre Vigne den Ort. Sein Name ist allgegenwärtig. Er kam 1712 nach Boucieu und blieb, nachdem er topografische Ähnlichkeiten mit Jerusalem entdeckt hatte. Drei Jahre später gründete er hier den Orden des Allerheiligsten Sakraments. Die Gebeine des seliggesprochenen Pierre Vigne ruhen in der Kirche St. Johannes der Evangelist, heute einem Wallfahrtsort.
In der Burg über dem Ort widmet sich ein ganzjährig geöffnetes Museum dem Missionar Pierre Vigne.
Nach dem Bummel durch die kleine königliche Stadt brauchen wir eine Erfrischung. Wir finden sie auf dem Dorfplatz im Schatten ausladender Bäume. Hier serviert die Kellnerin des Restaurants „Le Petit Bociu“ hausgemachtes Eis. Ich entscheide mich unter anderem für fruchtiges Himbeer-Sorbet – einfach köstlich!
#2: Désaignes – lebendige Geschichte der Ardèche
Das Dorf Désaignes wurde an einem der ersten Handelswege, die das Rhône-Tal mit den Bergen der Ardèche verbanden, gegründet. Schon mehrere Jahrhunderte vor Christus bauten die Römer hier Thermen und Villen. Zeugen aus vorchristlicher Zeit finde ich hier allerdings nicht.
Stadtmauer und Stadttore
In den engen Kopfsteinpflastergassen, durch die wir heute bummeln, fühle ich mich stattdessen zurückversetzt ins Mittelalter. Teile der Stadtmauer und vier Stadttore haben die Zeit überdauert. Ein besonderer Blickfang ist hier das Stadttor Porte du Bourg de l’Homme direkt an der D533 zwischen Saint-Agrève und Lamastre. Es trägt das Wappen der Familie Tournon, den Herren von Désaignes.
Altstadt, Burg und Museum
Vorbei am Brunnen Fontaine Barbière und an der romanischen Kirche erreichen wir die alte Festung auf einem Hügel. Der älteste Teil der Burg stammt aus dem 14. Jahrhundert. In ihrem Innern sollen sich schöne architektonische Elemente wie Kamine, Wendeltreppen und Gewölbekeller verbergen.
Gegenüber der Burg kann ich einen Blick in eine alte Schmiede und in die Werkstatt des Schuhmachers werfen. Beide Werkstätten zählen zum Museum des ländlichen Lebens, das in der Burg und in Häusern um die Burg herum untergebracht ist.
Und da es natürlich wieder heiß ist, gönnen wir uns in der Auberge de la Fontaine am Place Barbière ein Eis, diesmal ein Sorbet aus schwarzen Johannisbeeren (Cassis). Unvergleichlich! Muss man in Frankreich unbedingt probiert haben!
Extratipp 1: Nächtliche Führungen
Während der Hauptreisezeit – im Jahr 2022 von 20. Juli bis 24. August – werden jeden Dienstag und Donnerstag besondere Nachtführungen angeboten. Für den Besuch des Ortes Désaignes und des Schlosses sind auch Audio-Guides verfügbar.
Extratipp 2: Mittelalterfest
Jedes Jahr im August findet in Désaignes das traditionelle Mittelalterfest statt. Ein Markt mit „zeitgenössischen“ Produkten, Troubadouren und einer mittelalterlichen Taverne zählen ebenso zum Fest wie Ritter, ein mittelalterliches Lager und nächtliche Shows der Akrobaten. Im Zentrum des Geschehens steht natürlich das Leben auf der Burg.
#3: Der Doux und seine Brücken
Der Norden des Departements Ardèche ist geprägt durch den Fluss Doux. Er durchfließt die Gebirgslandschaft in West-Ost-Richtung und mündet bei Tournon-sur-Rhône in die Rhône. Auf ihrem Weg ins Tal haben sich die Wassermassen im Laufe der Zeit tief ins Gebirge eingeschnitten und die Schluchten des Doux geformt.
In diesem Sommer können wir uns solche Kraft kaum vorstellen, denn der Doux führt kaum Wasser und plätschert friedlich vor sich hin. Die runden Steine im Flussbett zeugen jedoch von der Naturgewalt. Auch die Breite des ausgetrockneten Flussbetts lässt erahnen, welche Wassermengen hier im Frühling ins Tal strömen.
Neben der Schlucht zählen die zahlreichen mittelalterlichen Brücken zu den Sehenswürdigkeiten entlang des Doux. Die bekannteste Brücke ist der Pont Grand am Ausgang der Schlucht in der Nähe von Tournon-sur-Rhône. Uns hat der Pont du Roi mit drei Bögen und der Mühlenruine am nordwestlichen Ende des Viadukts besonders gut gefallen. Die Königsbrücke bei Boucieu-le-Roi wurde Ende des 15. Jahrhunderts gebaut und erfüllt noch heute ihren Zweck.
Alle mittelalterlichen Brücken über den Doux ähneln sich in ihrer Art: Sie sind aus Granit gebaut, verfügen über einen oder mehrere Bögen, werden von flachen Steinmauern begrenzt und sind nur einspurig befahrbar. Auch der historische Dampfzug Mastrou quert den Fluss während seiner Reise durch die Schlucht des Doux über traditionelle Viadukte.
#4: Die Schlucht des Doux
Die wildromantische Schlucht des Flusses Doux ist vor der Mündung in die Rhône am schönsten. Diese weitgehend unberührte Landschaft lässt sich ausschließlich mit einer Draisine oder dem historischen Dampfzug Mastrou erkunden. Der auch Train de l’Ardèche genannte Zug verkehrt regelmäßig zwischen dem Bahnhof Saint Jean de Muzols und Lamastre. Die Draisinen (Velorail) haben ihren Heimatbahnhof in Boucieu-le-Roi.
Abfahrtszeiten des Mastrou
Der Dampfzug Train de l’Ardèche mit den stilvollen Waggons fährt in 2022 bis zum 30. Oktober. Die Saison beginnt üblicherweise Anfang April. Abfahrt ist um 10.15 Uhr am Bahnhof Tournon St. Jean, Ankunft in Lamastre gegen 12 Uhr. Die Rückfahrt von Lamastre startet um 15.15 Uhr. Gegen 17 Uhr ist der Eisenbahnveteran wieder in Tournon St. Jean. Es wird empfohlen, 45 Minuten vor der Abfahrt des Zuges am Bahnhof zu sein – und sei es nur, um vor Fahrtantritt gewisse Örtlichkeiten aufzusuchen.
Routen der Draisine
Für die Fahrt mit dem Schienenfahrrad stehen vier Abfahrten zur Auswahl. Wie die Bezeichnung der Routen schon vermuten lässt: Es geht bergab! Mit 20 Kilometern ist die Route „La Grande Aventure“ die längste. Vier Stunden Fahrzeit sind hier zu veranschlagen, die Tour wird als sportlich eingestuft. Anfängern empfiehlt der Betreiber die 8 Kilometer lange „Descente des Châtaigniers“ (Abfahrt der Kastanienbäume). Fahrkarten können im Vorverkauf auf der Seite von Velorail Ardèche erworben werden.
Erfahrungsbericht einer Bloggerin
Wer des Französischen oder des Englischen mächtig ist, findet auf dem Reiseblog Curiosity-Escapes.com ein Video über die Kombination aus diesen beiden Abenteuern: der Fahrt mit dem Schienenfahrrad und der Dampfeisenbahn.
Reisebloggerin Estelle fand die 8 Kilometer lange Tour mit der Draisine durch die Schlucht des Doux übrigens sehr entspannend und keinesfalls anstrengend. Sie ist mit dem Dampfzug im Rhônetal am Bahnhof Saint Jean de Muzols gestartet und bis nach Boucieu-le-Roi gefahren. Von hier geht es mit einem dieselbetriebenen historischen Schienenbus weiter bergauf.
Das Gefährt, dessen charakteristisches Tuten tagein, tagaus durch die Schlucht des Doux schallt, transportiert nicht nur die Passagiere. Im Schlepptau zieht der Schienenbus die Draisinen bis zum Startpunkt oder nach der Abfahrt von Boucieu zurück zum Ausgangspunkt. Geradelt wird im Konvoi.
#5: Lac de Devesset – baden in der Ardèche
Bei unserem Besuch in der Ardèche hatten wir „Glück“ mit dem Wetter: Die Temperaturen näherten sich tagsüber der 40-Grad-Marke. Eine Motorradtour ist bei diesem Wetter nicht das pure Vergnügen. Lionel, als Chef des Campingplatzes „Les Berges Du Doux“ unser Gastgeber und selbst Motorradfahrer, hat uns einen Ausflug zum Lac de Devesset empfohlen.
Baden
Der See bei Saint-Agrève liegt auf 1000 Metern Höhe. Dementsprechend ist es dort auch im Sommer nicht drückend-heiß, sondern angenehm warm und das Wasser noch erfrischend. Die Besucher finden auf riesigen Wiesenflächen am Ostufer schattige und sonnige Plätze zum Liegen. Außerdem gibt es einen Sandstrand.
Das eisenhaltige Wasser fand ich zum Baden verglichen mit dem Atlantik etwas gewöhnungsbedürftig, aber es bietet willkommene Abkühlung.
Segeln und Segeln lernen
Die Wassersport-Basis am Ostufer des Lac de Devesset verleiht Wasserfahrzeuge aller Art, vom Optimisten über Kanus bis hin zu Segelkatamaranen. Auch Segelkurse werden hier angeboten. Für Anfänger ist der unaufgeregte See mit seiner glatten Oberfläche und allenfalls mäßigem Wind das optimale Revier für erste Versuche.
Die kurvenreiche Fahrt durch schattige Tannenwälder zwischen Boucieu-le-Roi und Saint-Agrève macht mit dem Motorrad übrigens richtig Spaß! Insofern besten Dank an Lionel für diesen Tipp!
#6: Essen wie Gott in Frankreich
Mehrmals wöchentlich verwöhnt Chefin Laurence die Gäste des Campingplatzes „Les Berges Du Doux“ mit kulinarischen Köstlichkeiten aus der Ardèche. Wir kommen an einem Mittwochabend in den Genuss von „Gratin de ravioles du Dauphiné“.
Ravioles
Dauphiné-Ravioli sind eine Spezialität der Drôme, einem Nachbar-Departement der Ardèche. Die Teigtaschen sind gefüllt mit Quark, Comté, Emmentaler und viel Petersilie. Laurence gibt Champignons zu diesen kleinen Kalorienbomben, bevor sie als Gratin in den Ofen kommen. Alle Zutaten sind umhüllt von einer sahnigen Käsesoße. Eine Offenbarung! Dazu gibt es eine Salatbeilage.
Fondant au Chocolat
Als die Dunkelheit schon anbricht auf der Terrasse und Lionel die Lichterketten anschaltet, gönnen wir uns noch einen Nachtisch: Fondant au chocolat – kleine Schokoladenkuchen mit einem flüssigen Kern, dazu eine Kugel hausgemachtes Eis! Muss ich noch etwas sagen? Un café beziehungsweise ein Limoncello aus der gut sortierten Bar sorgen gefühlt für etwas Ordnung im Magen.
Genudelt im wahrsten Sinne des Wortes und mit dem festen Vorsatz, diese Köstlichkeiten zuhause auszuprobieren, sinken wir nach dem Abendessen ins Bett.
#7: Camping in der Ardèche
Die Ardèche ist die letzte Station unserer Wohnmobilreise durch Frankreich. Deshalb habe ich mir bei der Reiseplanung mit der Auswahl eines Campingplatzes erst Zeit gelassen und am Ende echt schwer getan. An allen Kandidaten rund um den Touristenmagneten Pont d’Arc fand die Camping-Gemeinde irgendetwas auszusetzen.
Camping Les Berges Du Doux
Wie ich bei einem neuen Anlauf plötzlich beim Campingplatzes „Les Berges Du Doux“ gelandet bin, weiß ich nicht mehr. Ruhig und trotzdem günstig am Fluss Doux gelegen, mit 15 Mietunterkünften und 21 Stellplätzen klein und familiär, schattige Stellplätze unter Platanen, als sehr sauber gelobte Sanitäreinrichtungen, geheizter Pool, Bar, Brötchenservice – was will man mehr.
Die Reservierung funktioniert problemlos auf Englisch und wir müssen schon vor der Ankunft die Flexibilität der Betreiber auf die Probe stellen. Die Fahrt vom Atlantik in die Ardèche hat sich weit länger gezogen als geplant. Aber alles kein Problem!
Französisch entspannt
Bei unserer Ankunft ist der Chef noch damit beschäftigt, die Gäste auf der gemütlichen Terrasse mit Eiskugeln und Getränken zu bewirten. Die Chefin bietet uns nach dem verspäteten Einchecken an, eine abendliche Runde im verlassenen Pool zu schwimmen. Vor der Bar lädt ein Sandplatz zum Boule spielen ein und an manchen Abenden wird auf der Terrasse ausgelassen gefeiert bis Mitternacht. So stelle ich mir den Sommer in Frankreich vor.
Extratipp: Gegen die tagsüber allgegenwärtigen Fliegen und Wespen hilft ein Moskitonetz. Denn Urlaub in der Ardèche ist Urlaub auf dem Land. Mit allen Vorzügen wie unberührte Natur und ungestörte Ruhe, aber auch überraschenden Tierbegegnungen.
Fotos, sofern nicht anders gekennzeichnet: Beate Ziehres